Die Entrückung als Geheimnis

Zuletzt aktualisiert: 25. Dezember 2025Eschatologie

Die Entrückung als Geheimnis

1. Einleitung

Im Neuen Testament bezeichnet der Apostel Paulus die Entrückung als „Geheimnis“ (1. Korinther 15,51). Dieser Begriff ist weder beiläufig noch poetisch, sondern eine präzise theologische Kategorie. Zu verstehen, warum die Entrückung ein Geheimnis ist, klärt sowohl ihre Einzigartigkeit als auch ihren Platz im prophetischen Heilsplan Gottes.

Dieser Artikel erklärt den neutestamentlichen Begriff Geheimnis (mystērion), zeigt, wie die Entrückung in diese Kategorie fällt, und hebt hervor, was die Entrückung in der biblischen Offenbarung beispiellos macht – insbesondere die Tatsache, dass eine ganze Generation von Gläubigen in die Herrlichkeit eingehen kann, ohne jemals zu sterben.


2. Die neutestamentliche Bedeutung von „Geheimnis“ (mystērion)

2.1 Kein Rätsel, sondern ein offenbartes Geheimnis

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein „Geheimnis“ etwas Rätselhaftes oder schwer zu Durchschauendes. Im Neuen Testament jedoch ist ein Geheimnis eine göttliche Wahrheit, die zuvor verborgen war, nun aber von Gott offenbart worden ist. Es handelt sich um eine Wahrheit, die:

  1. Durch menschliche Forschung nicht erkennbar war.
  2. Im Alten Testament nicht offenbart wurde.
  3. Jetzt durch Christus und seine Apostel kundgemacht worden ist.

Paulus beschreibt diese Kategorie deutlich:

„… das Geheimnis, das verborgen war seit ewigen Zeiten und Geschlechtern, nun aber geoffenbart ist seinen Heiligen.“
Kolosser 1,26

Ein mystērion ist also nichts, was für immer dunkel bliebe, sondern eine bis dahin unbekannte Facette des Heilsplans Gottes, die Er in der Zeit des Neuen Testaments enthüllt hat.

Beispiele hierfür sind:

  • Die Gemeinde – Juden und Heiden in einem Leib in Christus vereint (Epheser 3,3–6).
  • „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kolosser 1,27).
  • Die teilweise Verstockung Israels, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist (Römer 11,25).

Zu dieser Liste fügt Paulus die Entrückung als Geheimnis hinzu.


3. „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“: Die Entrückung in 1. Korinther 15,51

Der zentrale Text ist 1. Korinther 15,51–53:

„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden,
in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune. Denn die Posaune wird erschallen,
und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.
Denn dies Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dies Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen.“

Paulus bezeichnet ausdrücklich das, was er nun mitteilt, als „ein Geheimnis“. Was ist der Inhalt dieses Geheimnisses? Mindestens drei Elemente:

  1. „Wir werden nicht alle entschlafen“ – Nicht alle Gläubigen werden den leiblichen Tod erfahren.
  2. „Wir werden aber alle verwandelt werden“ – Sowohl verstorbene als auch lebende Gläubige erhalten verherrlichte Leiber.
  3. „In einem Nu, in einem Augenblick“ – Diese Verwandlung geschieht augenblicklich und gleichzeitig.

Die neue, zuvor verborgene Wahrheit besteht nicht darin, dass es eine Auferstehung geben wird – das war bereits aus dem Alten Testament bekannt –, sondern darin, dass eine ganze Generation von Gläubigen den Tod vollständig umgehen wird und dennoch verwandelt wird.


4. Die Entrückung wurde im Alten Testament nicht offenbart

4.1 Auferstehung war bekannt; Entrückung nicht

Das Alte Testament bezeugt klar die leibliche Auferstehung. Zum Beispiel:

  • Daniel 12,2: „Und viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben…“
  • Jesaja 26,19: „Deine Toten werden leben, auch mein Leichnam; sie werden auferstehen.“

Was diese Stellen jedoch nicht offenbaren, ist:

  • Ein Entrücktwerden der lebenden Heiligen, um dem Herrn in der Luft zu begegnen.
  • Eine gleichzeitige Verwandlung sowohl der verstorbenen als auch der lebenden Gläubigen in verherrlichte, unsterbliche Leiber.
  • Die Möglichkeit, dass eine große Schar von Heiligen den Tod überhaupt nicht schmecken wird.

Diese spezifischen Elemente der Entrückung fehlen vollständig in der alttestamentlichen Prophetie. Es handelt sich um neue Offenbarung, die erst nach dem Tod und der Auferstehung Christi gegeben und besonders Paulus anvertraut wurde.

4.2 Neutestamentliche Offenbarung der Entrückung

Drei zentrale neutestamentliche Abschnitte entfalten gemeinsam dieses Geheimnis:

  1. Johannes 14,1–3 – Jesu Verheißung, die Seinen in das Haus des Vaters zu holen.
  2. 1. Thessalonicher 4,13–17 – Detaillierte Beschreibung des Entrücktwerdens der toten und lebenden Gläubigen.
  3. 1. Korinther 15,51–53 – Betonung des Geheimnisses der Verwandlung ohne Tod.

In Johannes 14,3 sagt Jesus:

„Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin.“

Dies ist die erste klare Ankündigung in der biblischen Offenbarung, dass Christus kommt, um die Seinen zu sich in den Himmel zu holen, nicht, um sein Reich auf der Erde aufzurichten. Die „Mechanik“ dieses Geschehens blieb jedoch weitgehend undefiniert, bis Paulus später darüber lehrte.

In 1. Thessalonicher 4,16–17 ergänzt Paulus die Struktur:

„Denn der Herr selbst wird mit einem Feldgeschrei, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel,
und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken,
dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.“

Dann erklärt er in 1. Korinther 15 den Aspekt der Verwandlung als zuvor verborgenes Geheimnis.


5. Was ist an der Entrückung genau neu?

5.1 Die beispiellose Verheißung: Manche Gläubige werden nie sterben

Das auffälligste neue Element des Geheimnisses der Entrückung ist in dem einfachen Satz zusammengefasst:

„Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden“ (1. Korinther 15,51).

Im biblischen Sprachgebrauch ist „Schlaf“ ein geläufiges Bild für den Tod der Gläubigen (1. Thessalonicher 4,13–14). Paulus sagt damit:

  • Eine letzte Generation von Christen wird noch leben, wenn Christus kommt.
  • Diese Gläubigen werden den leiblichen Tod nicht erfahren.
  • Und doch werden sie die notwendige Umgestaltung vom Sterblichen zum Unsterblichen durchlaufen.

Dies ist etwas, was kein alttestamentlicher Gläubiger hätte folgern können. Das bis dahin bekannte Muster lautete:

Leben → Tod → Auferstehung → Herrlichkeit.

Das Geheimnis der Entrückung offenbart für eine bestimmte Generation ein neues Muster:

Leben → augenblickliche Verwandlung → Herrlichkeit.

5.2 Der gemeinschaftliche und augenblickliche Charakter des Ereignisses

Ein weiteres neues Merkmal ist der gemeinschaftliche und augenblickliche Charakter der Verwandlung:

  • „In einem Nu“ – Das griechische Wort (atomos) bezeichnet einen unteilbaren Augenblick.
  • „In einem Augenblick, beim Zwinkern eines Auges“ – die schnellste beobachtbare menschliche Bewegung.
  • „Wir werden alle verwandelt werden“ – Kein Gläubiger bleibt außen vor, ob frisch bekehrt oder lang gereift; alle, die in Christus sind, werden verwandelt.

Diese gleichzeitige Verwandlung der gesamten lebenden Gemeinde zusammen mit der Auferstehung aller gläubigen Toten des Gemeindezeitalters ist ein einzigartiges Ereignis im Heilsplan Gottes – im Alten Testament nicht offenbart.

5.3 Dem Herrn in der Luft begegnen und in das Haus des Vaters gehen

Ein weiterer Aspekt des Geheimnisses ist das Ziel und die Art der Begegnung:

  • „Entrückt werden… in Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft“ (1. Thessalonicher 4,17).
  • Hinaufgenommen werden in das Haus des Vaters (Johannes 14,2–3).

Die alttestamentliche Prophetie schaut überwältigend auf das Kommen des Messias zur Erde, um zu herrschen, wobei seine Heiligen Segnungen in einem erneuerten, irdischen Reich genießen. Die Vorstellung, dass:

  • Christus nur bis in die Luft herabkommt,
  • seine Heiligen aufsteigen, um Ihm in der Luft zu begegnen,
  • und Er sie dann in das himmlische Haus des Vaters führt,

ist charakteristisch für die neutestamentliche Offenbarung und wird in den alttestamentlichen prophetischen Erwartungen nirgends beschrieben.


6. Die Entrückung im Verhältnis zu anderen „Geheimnissen“

Wenn Paulus die Entrückung ein mystērion nennt, stellt er sie neben andere zentrale neutestamentliche Offenbarungen, die das Gemeindezeitalter definieren:

  • Die Gemeinde als „ein neuer Mensch“ – Juden und Heiden in einem Leib vereint (Epheser 3,3–6).
  • Die Einwohnung Christi in den Gläubigen: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kolosser 1,27).
  • Die teilweise Verstockung Israels, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist (Römer 11,25).

Jedes dieser Geheimnisse:

  1. Wurde im Alten Testament nicht offenbart.
  2. Betrifft das besondere Handeln Gottes in der jetzigen Heilszeit.
  3. Wird vor allem in den Paulusbriefen entfaltet.

Das Geheimnis der Entrückung folgt demselben Muster. Es ist eng mit der Lehre von der Gemeinde verbunden – dem Leib Christi, der seit Pfingsten durch den Geist gebildet wird und bei der Entrückung vollendet wird. Die Entrückung ist gewissermaßen der „Exodus“ der Gemeinde aus dieser Welt, ebenso einzigartig, wie Pfingsten ihre übernatürliche Geburt in die Welt war.


7. Warum die Entrückung ein offenbartes Geheimnis sein musste

7.1 Sie setzt das vollbrachte Werk Christi und die Existenz der Gemeinde voraus

Die Entrückung konnte nicht offenbart werden, bevor nicht Folgendes geschehen war:

  • Der Tod und die Auferstehung Christi, durch die der Sieg über den Tod errungen und die Gewissheit von Auferstehung und Verherrlichung begründet wurde.
  • Die Bildung der Gemeinde, eines besonderen Volkes, das als Leib und Braut mit Christus verbunden ist.

Erst wenn diese heilsgeschichtlichen Realitäten im Blickfeld sind, kann Gott seinen Plan offenlegen,

  • das Gemeindezeitalter dadurch abzuschließen, dass Er den ganzen Leib Christi entrückt,
  • und sowohl verstorbene als auch lebende Gläubige in die Christusähnlichkeit der Herrlichkeit verwandelt.

Schon die zeitliche Einordnung dieser Offenbarung kennzeichnet die Entrückung als Geheimnis. Sie gehört in die Zeit nach dem Kreuz und nach Pfingsten und konnte daher im Alten Bund nicht bekannt sein.

7.2 Sie bewahrt vor der Vermischung mit den alttestamentlichen Reichserwartungen

Indem Gott diese Wahrheit bis zum Neuen Testament zurückhielt, verhindert Er eine Vermischung zweier unterschiedlicher prophetischer Linien:

  1. Die irdische Reichshoffnung Israels – der Messias herrscht von Jerusalem aus über das wiederhergestellte Israel und die Nationen.
  2. Die himmlische Hoffnung der Gemeinde – entrückt zu werden, um Christus zu begegnen und bei Ihm zu sein, wo Er ist.

Die Offenbarung der Entrückung als eigenständiges mystērion ermöglicht es uns, beide Prophetielinien zu achten, ohne sie zu vermengen.


8. Praktische Implikationen der Entrückung als Geheimnis

8.1 Ein Ruf zur Erwartung

Weil die Entrückung nicht an die sichtbaren Zeichen des Alten Testaments gebunden ist, sondern aus neuer Offenbarung direkt an die Gemeinde hervorgeht, wird sie den Gläubigen als unmittelbar mögliches (immanentes) Ereignis vor Augen gestellt:

  • Gläubige sollen seinen Sohn aus den Himmeln erwarten (1. Thessalonicher 1,10).
  • Sie sollen auf die glückselige Hoffnung warten (Titus 2,13).
  • Sie sollen bereit sein, damit sie bei seiner Ankunft nicht beschämt werden (1. Johannes 2,28).

8.2 Ein einzigartiger Trost angesichts des Todes

Paulus führt die Lehre von der Entrückung in 1. Thessalonicher 4,13–18 ausdrücklich ein,

„damit ihr nicht traurig seid wie die anderen, die keine Hoffnung haben.“

Aufgrund des Geheimnisses der Entrückung können Gläubige sogar am Grab sagen:

  • Die Toten in Christus werden zuerst auferstehen.
  • Wir, die wir leben, werden mit ihnen wiedervereint werden.
  • Eine ganze Generation könnte den Tod überhaupt nicht erleben.

Diese doppelte Gewissheit – Auferstehung der Toten und Verwandlung der Lebenden – gründet sich genau auf das neu enthüllte Geheimnis, das Paulus offenbart hat.


9. Schlussfolgerung

Wenn Paulus schreibt: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“ (1. Korinther 15,51), schmückt er keine bereits bekannte Lehre aus, sondern enthüllt einen völlig neuen Aspekt des Heilsplanes Gottes. Die Entrückung ist ein Geheimnis, weil:

  • sie im Alten Testament nicht offenbart wurde,
  • sie auf dem vollbrachten Werk Christi und der Existenz der Gemeinde beruht,
  • sie eine bisher nie dagewesene Wirklichkeit einführt: dass manche Gläubige niemals sterben und doch in einem Augenblick in unsterbliche Herrlichkeit verwandelt werden.

Diese neu gegebene Wahrheit hebt die Verheißungen des Alten Testamentes nicht auf, sondern ergänzt sie. Als Teil der umfassenderen Offenbarung des Neuen Testaments zeigt die Entrückung die Gnade Gottes gegenüber seiner Gemeinde und unterstreicht die Gewissheit unserer endgültigen Verwandlung:

„Denn dies Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen und dies Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen.“
1. Korinther 15,53

Die Entrückung als Geheimnis zu verstehen heißt, sie als reine Offenbarung zu erkennen – als göttliches Geschenk der Einsicht in Gottes Absichten mit seinem Volk in der gegenwärtigen Heilszeit und in seinen außergewöhnlichen Auszug der Gemeinde aus dieser Welt bei dem Kommen des Herrn.

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